Vor und nach jeder Performance gibt es beim Festival DANCE IN RESPONSE Phasen der Stille. Wieso eigentlich?
Kontemplation ist eine Technik, mithilfe derer wir uns neu ausrichten können und dem, was ist, Zeit, Raum und Aufmerksamkeit schenken können.
Kontemplation, die Betrachtung in Stille, dient oftmals als Inspirationsquelle für die Kunst und stößt neue, kreative Entwicklungen an.
Und als Zuschauer_in? Es ist gar nicht so einfach, still zu sein, zu schweigen, ein Stück einfach aufzunehmen und auf sich wirken zu lassen. Nicht nur nach Ende des Stücks, sondern schon währenddessen kommen Gedanken und Fragen auf, die das Gesehene zu kommentieren, bewerten und einzuordnen versuchen. Selbst den Gedanken anderer kann man sich nicht entziehen. Reaktionen wie Lachen, Auslachen, Stöhnen oder konkrete Kommentare der Sitznachbarn wirken unaufhaltsam auf einen ein.
Wo bin ich hier eigentlich? Bin ich hier eigentlich? Oder bin ich verwickelt in ein diskursives Gedankennetz, das wie ein Schleier über dem Kunstwerk hängt und mir die direkte Einsicht versperrt?
Gedanken, Fragen, Assoziationen, die während einer Performance aufkommen, sind grundsätzlich nicht falsch, ganz im Gegenteil: Die Bewegung des Geistes ist sicherlich ein wunderbarer Effekt in Zusammenhang mit der Rezeption von Kunstwerken (1). Doch ausschlaggebend ist wohl die Herangehensweise, also ob ich entweder von Anbeginn beabsichtige, das Stück mit meiner Meinung zu belegen, oder ob ich versuche, meinen bewertenden Geist für eine Weile zurückzunehmen und damit dem Geschehen überhaupt erst einmal Raum zu geben, sich in meiner Wahrnehmung zu entfalten.
Deshalb wagen wir das Experiment und wollen schauen, wie sich Phasen der Stille beim Festival auf die Rezeptionserfahrung der Zuschauenden auswirken. Die Besucher_innen haben Zeit, bewusst bei sich anzukommen, den Alltag hinter sich zu lassen und sich auf die Performances einzustimmen. Nach den Stücken können sie die Eindrücke nachwirken lassen und dann auch ins Publikumsgespräch einfließen lassen.
Die kontemplative Haltung ist außerdem eine Art der Wertschätzung für die Arbeiten der Künstler_innen. Besonders die performativen Künste leben aufgrund ihrer Flüchtigkeit von der Konzentration im Hier und Jetzt. Die Stille fördert und fordert die Aufmerksamkeit des Publikums und gibt den Performances Raum, sich über die Grenzen von „Anfang“ und „Ende“ auszudehnen.
1) Sozusagen ein Murmuring im Sinne von Fizzing , also mit Potential, wie es Foucault und de Certeau formulieren (siehe Pascal Gielens „The Murmuring of the Artistic Multitude“).